Körperarbeit & Therapie

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Gedanken zum menschlichen Sein

Vielleicht sind Sie überrascht, auf der Webseite einer therapeutischen Praxis, literarische und philosophische Bemerkungen zu finden. Vielleicht sind Sie aber auch ein neugieriger Leser, eine aufmerksame Beobachterin unserer Zeit und finden hier interessante Anregungen. Ich denke, gerade in Krisenzeiten müssen wir uns auf das wirklich Wichtige im Leben besinnen und ich habe begonnen, mich von Grund auf neu mit der Psychologie zu beschäftigen, ohne Scheuklappen und offen für interessante Ansätze, woher sie auch kommen mögen. Ich werde diese Gedanken von Zeit zu Zeit ergänzen.

Manches mag von den Begriffen her fremd oder veraltet erscheinen, ist aber, wenn man es für sich umformuliert, hochaktuell und überaus brauchbar. So habe ich hier eines Abends einige Gedanken mit Zitaten von Dante Alighieri (1265 - 1321), C.G. Jung (1875 – 1961) und Byung-Chul Han (*1959) versammelt, die ich mit Ihnen teilen möchte.

„Irrungen und Wirrungen“ menschlichen Lebens

Auf halbem Wege unsers Erdenlebens Musst ich in Waldesnacht verirrt mich schauen, Weil ich den Pfad verlor des rechten Strebens.

Nel mezzo del cammin di nostra vita mi ritrovai per una selva oscura, ché la diritta via era smarrita.

(Übertragung von Richard Zoozmann 1922, https://www.divina-commedia.de/)

Die Wege des Lebens sind nicht geradlinig, sondern oft unwegsam und verschlungen und wir gehen in die Irre, gehen im Kreis und finden dann hin und wieder scheinbar zufällig eine interessante Spur, der wir folgen. Im Grunde muss jeder muss seinen eigenen Weg finden und gehen, möglichst aufrecht und vielleicht abseits vielbelaufener Wege – es geht nicht darum, dass wir uns an die Gesellschaft anpassen, sondern wir SIND die Gesellschaft und wir müssen unseren individuellen Weg finden und uns gemeinsam als Menschheit weiter entwickeln.

Schmerz und Liebe, Glück und moderne Kommunikation

Kürzlich bin ich über ein Gespräch mit einem Bekannten auf den koreanischen Philosophen Byung- Chul Han gestoßen und möchte einige Gedanken hier mit Ihnen teilen, die er in einem Interview geäußert hatte (Byung-Chul Han im Interview mit Thomas Zaugg für „Das Magazin“, 2014, Nr. 39). Han bezeichnet die heutige Gesellschaft als „Palliativgesellschaft“, in der eine Algophobie, eine generalisierte Angst vor Schmerzen, herrscht. Jeder schmerzhafte Zustand wird vermieden. Konflikten und Kontroversen, die zu schmerzhaften Auseinandersetzungen führen können, wird immer weniger Raum gegeben. Konformitätszwang und Konsensdruck nehmen zu.

„Heute versuchen wir, jede Verletzung zu meiden, auch in der Liebe. Für die Liebe braucht man eigentlich einen hohen Einsatz.

Aber man meidet diesen hohen Einsatz, weil er zur Verletzung führen kann.“

Er diagnostiziert außerdem:

„[Verzicht] ist dem ganzen Konsumismus entgegengesetzt. Wir kennen heute nicht mehr jene unerschöpfliche Kraft des Einfachen.

Das Einfache wäre Gift für Wachstum und Produktivität.

Wir leben ständig in dem Gefühl, etwas zu verpassen. Wir können nicht einrasten, wir können nicht verweilen.“

Wir rennen dem Glück hinterher, aber wir finden es nicht. Vielleicht, weil wir gar nicht wissen, was es für uns bedeutet. Wenn ich als Außerirdischer im Café säße und die Menschen beobachten würde, erschiene es mir seltsam, wie zwei möglicherweise frisch Verliebte die Zeit miteinander verbringen und jeder auf ein kleines schwarzes Kästchen starrt und ab und an darauf tippt oder mit dem Kästchen spricht. Wir sind durch moderne Kommunikationsmittel stärker vernetzt, aber wie nahe sind wir uns als Partner, als Freunde, als Menschen?

Han äußert sich hierzu folgendermaßen:

„Die digitale Kommunikation baut die Distanz oder den Abstand ab. Das heisst aber nicht, dass sie mehr Nähe hervorbringt. Sie baut vielmehr die Nähe ab. Die Nähe ist etwas ganz anderes als die Distanz- und Abstandslosigkeit. Die Nähe ist immer mit der Ferne gepaart. Heute haben wir weder Nähe noch Ferne. Die Ferne kann eine besondere Erfahrung der Nähe möglich machen.“

Krankheit, Tod und Sinn

Gerade in dieser Zeit wird deutlich, dass wir uns als Menschen und als Gesellschaft nicht ausreichend mit Themen wie Krankheit und Sterben auseinandersetzen. Früher war dies ganz natürlich Teil des Lebens und es gab entsprechende Rituale (heute nur in Ansätzen vorhanden). Haben Sie schon einmal einen Sterbenden begleitet, einen Toten gesehen, eine Totenwache gehalten? Was empfinden Sie dem Tod gegenüber?

Wie C.G. Jung in seinen Erinnerungen („Erinnerungen, Träume, Gedanken von C.G: Jung“, aufgezeichnet und herausgegeben von Aniela Jaffé) äußerte, sind wir „entzweit mit uns selber“ geworden:

„Unter den sogenannten neurotischen Patienten unserer Tage gibt es nicht wenige, die in früheren Zeiten nicht neurotisch, d.h. entzweit mit sich selber, geworden wären. Hätten sie in einer Zeit und einem Milieu gelebt, wo der Mensch noch durch den Mythus mit der Ahnenwelt und dadurch mit der erlebten und nicht bloß von außen gesehenen Natur verbunden war, so wäre ihnen das Uneinswerden mit sich selber erspart geblieben.“

„Ich habe oft gesehen, daß Menschen neurotisch werden, wenn sie sich mit ungenügenden oder falschen Antworten auf die Fragen des Lebens begnügen. Sie suchen Stellung, Ehe, Reputation und äußeren Erfolg und Geld und bleiben unglücklich und neurotisch, auch wenn sie erlangt haben, was sie suchten. Solche Menschen stecken meist in einer zu großen geistigen Enge. Ihr Leben hat keinen genügenden Inhalt, keinen Sinn. Wenn sie sich zu einer umfassenderen Persönlichkeit entwickeln können, härt meist auch die Neurose auf. Darum war für mich von Anfang an der Entwicklungsgedanke von höchster Bedeutung.“

Eine schwere Krankheit ist eine Krise, die auf den ersten Blick als unbewältigbar eingestuft wird, aber auch eine große Chance zur Veränderung sein kann, die ja offensichtlich notwendig ist. Sie kann dazu führen, dass wir uns selbst besser kennenlernen, Dinge neu einordnen lernen und erkennen, was uns gut tut und was uns hilft, unseren eigenen Weg im Leben zu gehen und mit uns und unserer Umwelt im Einklang zu sein. Es geht nicht darum, die Krankheit zu besiegen, sondern uns so zu akzeptieren, wie wir sind inklusive des eigenen Schattens und der eigenen Geschichte, die uns prägt. Diagnosen helfen uns, etwas einzuordnen, aber der Mensch kategorisiert auch gerne, um Komplexes zu vereinfachen und leicht vergisst er dabei, dass hinter der Diagnose ein Mensch steht und es den „normalen“ Menschen nicht gibt. Normalität ist nur der Durchschnitt aller Abweichungen. Sie dürfen sich also ruhig an Ihren Abweichungen erfreuen, denn oft finden sich hier wichtige Ressourcen, die Ihnen weiterhelfen können. Und nicht zuletzt machen Ihre „Abweichungen“ und Eigenarten Sie einzigartig und spannend.

Wichtig ist aus meiner Sicht, den anderen als Therapeutin als Ganzes wahrzunehmen und zu akzeptieren, die richtigen Fragen zu stellen oder ggf. Anregungen zu geben. Sinnvoll ist hier denke ich auch die Beschäftigung mit Träumen und die Auseinandersetzung mit Mustern, die sich durch Generationen der eigenen Familie ziehen. Für eine Heilung und Ganzwerdung ist es unabdingbar, dass wir uns unseren Mustern und Konflikten stellen und herausfinden, was die eigene Mission auf der Welt ist und versuchen, entsprechend zu leben.

Nur wenn wir uns selbst kennen, uns akzeptieren, uns verzeihen können und uns Eins fühlen mit unserem Körper, dann können wir auch gut auf andere zugehen und vertrauensvolle Partnerschaften eingehen.

Und so steht auch am Ende der Göttlichen Komödie, nach einer Höllenfahrt, Purgatorium und dem Besuch im Paradies die Liebe:

„So stand ich bei der plötzlichen Erscheinung: Ich wollte, wie sich Kreis und Bild bedingen, Erkennen, und die Bild- und Kreisvereinigung Doch dazu taugten nicht die eignen Schwingen. Da fuhr ein Himmelsblitz durch meinen Geist Und gab der Sehnsucht Kraft, auch dies zu zwingen, Dann stand die hehre Fantasie verwaist; Schon aber folgte Wunsch und Wille gerne D e r L i e b e , die in ewigem Gleichschwung kreist, I h r , die die Sonne rollt und andern Sterne.

tal era io a quella vista nova: veder voleva come si convenne l'imago al cerchio e come vi s'indova; ma non eran da ciò le proprie penne: se non che la mia mente fu percossa da un fulgore in che sua voglia venne. A l'alta fantasia qui mancò possa; ma già volgeva il mio disio e 'l velle, sì come rota ch'igualmente è mossa, l'amor che move il sole e l'altre stelle."

(Dante, La Divina Commedia, Übertragung von Richard Zoozmann 1922, https://www.divina-commedia.de/)

 

 

 

© Copyright Susanne Starke